Bundesinnenministerium sieht "Reueerklärungen" als generell unzumutbar an

In einem Rundschreiben an die Bundesländer hat das Bundesinnenministerium (BMI) Handlungsempfehlungen zur Frage der Identitätsklärung in aufenthaltsrechtlichen Verfahren gegeben. Demnach ist die Passbeschaffung als unzumutbar anzusehen, wenn ein Herkunftsstaat die Ausstellung von Dokumenten an die Unterzeichnung einer "Reueerklärung" knüpft und die Betroffenen sich dabei selbst einer Straftat bezichtigen müssen.

Über das Rundschreiben des BMI, welches am 16. August 2023 herausgegeben wurde, berichtete der Hessische Flüchtlingsrat am 17. Oktober 2023. Hintergrund des Schreibens ist, dass Eritrea von seinen Staatsangehörigen häufig die Abgabe einer "Reueerklärung" verlangt, wenn diese bei der Botschaft vorsprechen und konsularische Dienstleistungen (also auch die Ausstellung oder Verlängerung von Pässen oder anderen Dokumenten) in Anspruch nehmen wollen. Die Betroffenen sollen mit einer derartigen Erklärung schriftlich bereuen, "einer nationalen Pflicht nicht nachgekommen zu sein." Zugleich sollen sie erklären, eventuell dafür verhängte Strafen zu akzeptieren.

In zahlreichen aufenthaltsrechtlichen Verfahren stellt sich die Frage, ob es Betroffenen zumutbar ist, eine solche Reueerklärung zu unterschreiben. Insbesondere gilt dies in Fällen, in denen für die Ausstellung eines Aufenthaltstitels oder eines Dokuments wie dem "Reiseausweis für Ausländer" ein Identitätsnachweis verlangt wird. Hierfür fordern die Ausländerbehörden die Betroffenen regelmäßig auf, bei der Botschaft ihres Herkunftslandes vorzusprechen, um dort einen Pass oder andere Identitätsdokumente zu beschaffen. Die Vorsprache bei der Botschaft darf aber nicht verlangt werden, wenn sie mit einer unzumutbaren Härte verbunden wäre. 

In der Vergangenheit hatten sich Gerichte unterschiedlich zu der Frage geäußert, ob die Abgabe der Reueerklärung als eine solche unzumutbare Härte einzustufen ist oder nicht. Schließlich hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einer Entscheidung vom Oktober 2022 geurteilt, dass es sich bei der Reueerklärung weder um eine zumutbare Mitwirkungshandlung noch um eine "zumutbare staatsbürgerliche Pflicht" im Sinne der Aufenthaltsverordnung handelt (BVerwG, Urteil vom 11.10.2022 – 1 C 9.21 – asyl.net: M30993, Asylmagazin 4/2023, S. 100 ff., Link s.u.). Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wie im dem BVerwG vorliegenden Fall – eritreische Staatsangehörige plausibel erklärten, die Erklärung nicht abgeben zu wollen. In Eritrea herrsche eine willkürliche Strafverfolgungspraxis, daher sei auch ein geringes Restrisiko nicht hinnehmbar, welches bei Unterzeichnung der Erklärung mit der "bedingungslosen Akzeptanz einer wie auch immer gearteten Strafmaßnahme" entstehe. Der nachvollziehbar bekundete Unwille, die Erklärung zu unterzeichnen, sei daher "schutzwürdig" (Rn. 28 des BVerwG-Urteils).

Laut dem Hessischen Flüchtlingsrat sorgte das BVerwG-Urteil allerdings nicht für eine vollständige Klärung der umstrittenen Rechtsfrage. Da es sich bei dem Kläger, um dessen Fall es im Verfahren beim BVerwG ging, um eine Person mit subsidiärem Schutzstatus handelte, hätten Ausländerbehörden in anderen aufenthaltsrechtlichen Konstellationen weiterhin argumentiert, dass die Abgabe von "Reueerklärungen" zumutbar sei. So seien Personen mit einem sogenannten nationalen Abschiebungsverbot weiterhin mit diesem Argument konfrontiert worden, wenn sie den "Reiseausweis für Ausländer" beantragt hätten. Auch in einem Erlass des hessischen Innenministeriums vom 23. März 2023 sei die Rechtsprechung des BVerwG ausdrücklich nur auf eritreische Staatsangehörige mit subsidiärem Schutzstatus bezogen worden.

Demgegenüber äußert das Bundesinnenministerium in seinem Rundschreiben nun die Auffassung, dass das Urteil des BVerwG grundsätzlichen Charakter habe. Es empfiehlt, von der Unzumutbarkeit der Unterzeichnung einer "Reueerklärung" immer dann auszugehen, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Die Reueerklärung ist mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verknüpft, wobei es ausreicht, wenn diese Tat nur nach dem Recht des Herkunftsstaats strafbar ist;
  • die betroffene Person legt ausdrücklich und plausibel dar, dass sie die Erklärung nicht abgeben will.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, soll die Annahme der Unzumutbarkeit laut BMI "unabhängig von Alter, Geschlecht, Aufenthaltszweck sowie Aufenthalt- und (asylrechtlichen) Schutzstatus" greifen.

Mit Blick auf eritreische Staatsangehörige empfiehlt das BMI entsprechend, von der Aufforderung zur Vorsprache bei der Botschaft bei Personen abzusehen, bei denen üblicherweise eine Reueerklärung verlangt werde. Dies seien Personen im dienstpflichten Alter ab 18 Jahren bis 47 Jahre bei Frauen und bis 57 Jahre bei Männern.

Das Rundschreiben des BMI enthält darüber hinaus Ausführungen zur Frage, inwieweit es insbesondere Personen mit dem subsidiären Schutzstatus grundsätzlich zumutbar ist, an der Erlangung von Pässen des Herkunftsstaates mitzuwirken. Hier wird darauf verwiesen, dass Personen mit subsidiärem Schutz dieser Status möglicherweise auch "aufgrund einer gezielten Bedrohung durch staatliche Behörden zuerkannt worden ist und diese Bedrohung weiter anhält". Zudem könne sich eine gezielte anhaltende Bedrohung auch aus einer Gefährdung von Angehörigen im Heimatland ergeben, entsprechende Fälle seien beispielsweise bei syrischen Staatsangehörigen bekannt geworden. In derartigen Konstellationen sollte die Zumutbarkeit der Erlangung von Pässen des Herkunftsstaates durch die Ausländerbehörden "sorgfältig geprüft werden", so das BMI.

Bei den Ausführungen des BMI handelt es sich um Handlungsempfehlungen, die für die Ausländerbehörden bzw. für die zuständigen Ministerien der Bundesländer nicht verbindlich sind. Sie werden vom BMI aber "im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung" herausgegeben und sollen so dazu beitragen, dass die behördliche Praxis bei strittigen Rechtsfragen vereinheitlicht wird.


Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

basiswissen.asyl.net

Wissen kompakt und mehrsprachige Materialien:

Thema Familiennachzug